Frau L. schreibt:

 

Kann man solchen Schmerz spielen ?
 
Meine Erfahrungen beim Familienaufstellen
in der Praxis Beyer-Götzinger
 
Beim Betreten des Raumes steigt mir angenehmer zitroniger  Duft in die Nase. Es ist ein wunderschöner atmosphärisch gestalteter  und klarer Raum , am Fenster auf einem kleinen Tisch stehen Gebäck und Tee bereit. "Das Verfahren ist sehr anstrengend, deshalb haben wir vorsichtshalber ein paar Süßigkeiten bereit gestellt", beantwortet Herr Beyer-Götzinger meinen fragenden Blick.
 
Die beiden Therapiehunde begrüßen  fröhlich wedelnd mal den einen, mal den anderen Teilnehmer und beschnuppern alles Neue  mit ihrem freundlichen Wesen.
 
Die Handvoll Teilnehmer darf es sich auf dem großen Sofa bequem machen. Wir werden  für eine halbe Stunde uns selbst überlassen, um uns etwas kennen zu lernen.
 
Danach sammeln wir uns mit Hilfe einer kurzen Meditation  unter Anleitung des Therapeuten und beginnen uns auf das einzustimmen, was uns so mystisch, spannend und unerklärlich erscheint. Wir wollen eine Familienaufstellung unter fachlicher Anleitung des pschychologisch geschulten Paares Beyer-Götzinger machen.
 
Die erste, die sich traut, setzt sich in einen bequemen Sessel, die anderen beobachten gespannt das Geschehen.
 
Die Grundstruktur der Familienaufstellung ist fast immer dieselbe: In einem  Vorgespräch schildert der Klient dem Aufsteller seine Fragen oder Anliegen. Der Therapeut befragt den Patienten kurz nach drückenden  Ereignissen in seiner Familiengeschichte. Gab es Trennungen, Scheidungen oder Selbstmorde?  Kriegsopfer oder sonstige früh verstorbene Ahnen?
Der Patient erkennt schnell, wo seine "Leichen " im Keller seiner Ahnen liegen könnten und entscheidet sich dann, welche "Szenerie"  in  der Familie er sich anschauen möchte.
 
Es soll wenig gesprochen werden bei der Aufstellung , es geht vielmehr um Eindrücke und innere Erlebnisse, heilende Vorgänge beim Betrachten der Szene und des Rollenspieles.
 
Der Patient bittet anschließend die anderen Teilnehmer im Raum, einen bestimmten Angehörigen seiner Familie zu vertreten und weist den Vertretern einen "stimmigen" Platz im Raum zu oder entscheidet sich dafür , dass sich ihn die Vertreter selbst suchen. Der Patient selbst beobachtet zurückgelehnt das folgende Geschehen.
 
Ab diesem Moment geht es sehr schnell zur Sache. Ein "Ehemann" beginnt bitterlich zu weinen und scheint einen unsäglichen Schmerz zu empfinden. Auch die anderen "Familienmitglieder" scheinen mehr oder weniger starke Änderungen in ihrer Gefühlswelt zu erleben. Die "Ehefrau" wird ärgerlich , weil sie mit den Tränen des "Ehemannes " und dessen Schweigen nichts anfangen kann. Der "Bruder" findet, es sollte jetzt etwas zu essen geben (und trifft  damit einen häufig benutzten Satz im dessen echtem Leben)  und die ( echten ) Hunde freuen sich über den Hinzutritt des "Bruders", der ( ganz wirklich ) Hunde  ganz besonders mag.
 
Einmal verlässt eine "Ehefrau" aus Wut über die kalte Schulter des "Ehemannes" den Raum und kehrt kurze Zeit später wieder zurück.
Ein versehentlich vergessenes Familienmitglied wird kurzerhand auch noch aufgestellt, damit die Familie sich komplett anfühlt.
 
 
Der Therapeut erfragt die Gefühle der Stellvertreter in der jeweiligen Position, in der sie sich gerade befinden. Es wird von Stärke, Trauer, Kälte berichtet und einem  (männlichen) Gefühl, "nicht zu genügen".
 
Der Therapeut bringt den Patienten nun vor allem mit jenen Stellvertretern in Kontakt, die er für wichtig hält.
 
Wo Stärkung notwendig ist, steht ein Teilnehmer zur Seite und legt seine Hände auf die Schultern des Patienten, ganz gebend und stärkend. Es werden heilende Sätze gesprochen.
 
Ich beobachte immer wieder die Veränderung in den Gesichtern, wenn sie klarer sehen, was in ihrem System Familie vorgeht, das versteckt war und jetzt ans Licht kommt, wenn sie Tränen der Rührung und tief empfundener Wärme und Menschlichkeit erleben, wenn bisher missachtete Gefühle endlich einen Weg nach "draußen" erhalten.
Am Ende steht das "Lösungsbild" und wir atmen tief und lassen es auf uns wirken.
 
Ich habe das Verfahren der Familienaufstellung so neutral wie möglich begonnen und bin den Prozess wachsam und ohne Erwartung durchlaufen.
Für mich standen am Ende neben einer klareren Sicht auf meine Wurzeln die menschlichen Aspekte des Prozesses und ich habe eine Erleichterung und Befreiung für einen großen Teil meiner Blockaden und Hemmungen erlebt.
 
Das Einzigartige des Verfahrens sehe ich in der Einfachheit- es sind weder langatmige komplexe Darstellungen der gesamten Familiengeschichte noch monatelange Liegezeiten auf der Therapiecouch  notwendig, um diese befreiende und erleichternde Erfahrung zu machen.
 
Das Geniale an der Methode ist die Nutzung der menschlichen Fähigkeit, alle Beziehungen in räumlichen Metaphern zu beschreiben. Es hilft uns, einleuchtende Veranschaulichungen eines komplex erscheinenden Problemes im Rollenspiel zu erleben.
 
Ich kann mir diese Erfahrungen rational nicht restlos erklären, aber ich habe gesehen, dass es nicht wichtig ist.
Der heilende Aspekt steht für mich im Vordergrund und die geschützte, gut geleitete und fachlich betreute Atmosphäre macht gute Laune und eine angenehme Erschöpfung. Es ist die Erschöpfung nach einem langen aber mit großer Freude verbrachten Arbeitstag.
 
Die Methode, dessen Vater Bert Hellinger ist, trifft ganz gut  den Nerv unserer Zeit. Wir können erleben, wie wir in unserer virtualisierten und individualsierten Internet-Gesellschaft mit hohen Scheidungsraten und Abschieben der Alten ins Pflegeheim  wieder Menschen sind.
 
Eine tolle Erfahrung.
 
 
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